Seelenstriptease – wie offen darf ich auf Social Media sein?

Und nicht nur auf Social Media, diese Frage gilt genauso hier für meinen Blog. Wie öffentlich darf ich mich machen? Wie öffentlich muss ich mich machen? Diese Fragen beschäftigen mich immer wieder.

Der Seelenstriptease geht um

Da hörte ich bei einem Business Coach, dass die Verkaufszahlen explodierten, nachdem sich seine Klientin mit ihrer sehr persönlichen Geschichte offenbart hatte. Da hörte ich, dass das größte Wunder dort ist, wo die größte Wunde ist. Da sehe ich links und rechts neben mir in den Reihen der Coaches, wie sich eine nach dem anderen offenbart mit ihren persönlichen Geschichten.

Geschichten, in denen sich die Menschen wiederfinden, die sie lesen. Und dankbar und zustimmend kommentieren, „Ich erkenne mich darin wieder“ oder „Danke, dass du das teilst, jetzt fühle ich mich nicht mehr alleine mit meiner Geschichte“ oder „Ich bin froh, dass es dir auch so geht, ich dachte schon, ich wäre nicht normal“.

Und auch ich erfahre diese Zustimmung, wenn ich einen sehr persönlichen Moment aus meinem Leben geteilt habe. Mich öffentlich damit gemacht und auf den Marktplatz von Social Media gestellt habe. Und doch frage ich mich, wieviel sein muss, darf und soll? Was ist angemessen? Womit schade ich mir selbst?

Dem Hochglanz das echte Leben entgegensetzen

Grundsätzlich finde ich es sehr gut, wenn dem Hochglanz auf Social Media auch die gelebte Realität gespiegelt wird. Wenn nicht immer nur alles lustig ist, sondern auch mal Tränen gezeigt werden dürfen. Wenn nicht nur Erfolg und Reichtum, sondern auch Scheitern und Fehler geteilt werden. Mensch zu sein, heißt viele Facetten zu haben. Wie in einem Kaleidoskop immer wieder neue bunte Bilder entstehen, so ist auch das Menschenleben bunt, aber auch grau und schwarz gemischt.

Und gerade Social Media neigt dazu, dieses wilde Durcheinander der gelebten Realität auf die schönen Momente zu reduzieren. Das geht so weit, dass z.B. bestimmte Hashtags gebannt werden und Inhalte, die sie nutzen, gar nicht erst ausgespielt werden. Selbstzweifel ist z.B. so ein Begriff oder Angst.

Wer Werbung auf Facebook schalten möchte, sollte sich seine Werbeaussagen sehr, sehr gut überlegen. Spielen sie auf einen Mangelzustand des Menschen an, werden sie nicht ausgespielt. Wir sollen auf Social Media nicht an unsere Fehler und Mängel erinnert werden, wir sollen uns dort gut fühlen, damit wir möglichst lange auf den Plattformen bleiben.

Wir wollen uns nicht alleine mit unseren Problemen fühlen

Und streben Menschen nicht auch deswegen auf diese Plattformen, weil sie fühlen möchten, dass sie nicht alleine sind mit ihren Problemen? Dass es Menschen gibt, die ähnlich denken und fühlen, um sich zugehörig zu fühlen? Weil sie das in ihrer analogen Welt vielleicht gerade nicht erfahren?

Ich habe keine Antwort auf die Frage, wie viel Seelenstriptease öffentlich zumutbar und angemessen ist und wann der Bogen überspannt wurde. Das kann vermutlich nur jede und jeder für sich selbst entscheiden. Und wird vermutlich auch komplett unterschiedlich von denen bewertet, die das dann lesen oder ansehen. Von Ablehnung über Gleichgültigkeit bis Zustimmung ist alles vertreten.

Mein Wunsch ist es nur, dass wir uns menschlich zeigen dürfen. Und das immer.

2 Antworten auf „Seelenstriptease – wie offen darf ich auf Social Media sein?“

  1. Ein Seelenstriptease ist eine sehr intime Angelegenheit. Und in Zeiten der ewigen Hochglanz-Geschichten sehr wohltuend. Ich habe im Internet und auch in den Socials schon sehr viel Empathie beobachten können. Wenn zum Beispiel jemand vom Ende der Beziehung berichtet oder von einer Erkrankung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich selbst das machen würde, wenn ich ein solches Problem hätte.
    Wenn ich dann das Gefühl hätte, dass meine Leser mitleiden, würde ich sie ständig trösten wollen.
    LG
    Sabiene

    1. Liebe Sabiene,
      vielen Dank für deine Rückmeldung. 😊❤️
      Ja, ich empfinde es auch als sehr wohltuend, wenn sich Menschen authentisch zeigen und auch mal von schweren Tagen oder Schicksalen berichten. Und freue mich, überwiegend empathische Reaktionen zu beobachten.
      Ich selbst habe eine Hemmschwelle, solche Dinge zu veröffentlichen und poste lieber, wenn es mir gut geht. Nicht, weil ich Angst habe, mein Gegenüber damit zu überfordern, sondern weil es mir generell im Leben schwer fällt, mich mit den „negativen“ Gefühlen zuzumuten. Wenn es mir schlecht geht, ziehe ich mich lieber zurück. Es bleibt für mich eine Gratwanderung.
      Liebe Grüße
      Dorothee

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