Mensch, reife und werde erwachsen, breite deine Flügel aus und fliege.
Als Mutter beschäftigt mich immer wieder die Frage, was ich meinen Kindern mit auf den Weg gebe oder schon gegeben habe. Ist es das, was sie stark macht? Das, was ihnen auf ihrem Lebensweg hilft? Oder ist es das, was ich mir für sie wünsche? Und vor allem, wie viel habe ich ihnen von meinen unbewussten, unerledigten, unreflektierten und ungeheilten Anteilen mitgegeben, die ihnen jetzt oder später das Leben schwermachen?
Der Mensch, das kranke Wesen?
Je nach psychologischer Fachliteratur entsteht das Bild: als Mutter (bzw. auch Vater) kannst du eigentlich nur versagen, du gibst deinen ganzen inneren Mist an deine Kinder weiter – der Mensch als neurotisches und krankes Wesen. Da drängte sich mir die Frage auf, wie kann man es überhaupt verantworten, Kinder zu bekommen? Müsste man sich nicht vielmehr erst mal ganz um die eigene Heilung kümmern, um diese Weitergabe zu verhindern?
Und wenn wir diesen Bogen noch weiter spannen: es sind nicht mal nur unsere eigenen Themen, die wir weitergeben, sondern wir tragen in den meisten Fällen selbst noch übernommene Themen, von unseren Eltern, Großeltern, Ahnen, aus dem gesellschaftlichen Kollektiv…
Als ich in die Mutterrolle schlüpfte, war ein Erkenntnisprozess in mir zwar schon angestoßen und ich hatte an der ein oder anderen inneren Baustelle begonnen zu arbeiten, aber ich war weit davon entfernt mit mir im Reinen zu sein (und bin es bis heute allenfalls temporär). Im Alltag war ich, und bin es immer wieder, konfrontiert mit herausfordernden Situationen, in denen ich mich nicht so gelassen und entspannt verhielt, wie ich es gerne getan hätte, sondern wo der innere Autopilot übernahm und alte Muster einfach abgespult wurden. Und so war ich auf der Suche nach Antworten zu den vielen Fragen in mir.
Ein Prozess, der niemals endet
Mit der Wahl als innerwise Coachin zu arbeiten, habe ich Heilung und Entwicklung zu meinen Hauptthemen gemacht. Ich kann mich während meiner Arbeitszeit mit all diesen Fragen und Themen beschäftigen. Das ist ein großartiges Geschenk, für das ich sehr dankbar bin und das ich gerne in den Coachings an die Menschen weitergebe, die zu mir kommen.
Gemeinsam mit ihnen darf ich Schritt für Schritt hineinsteigen in das große Unbewusste, den Raum der Schatten, den Raum der Erkenntnis und all das hervorholen, was erkannt, noch mal gesehen und verabschiedet werden möchte, damit alte Wunden heilen, verletzte Anteile zurückgeholt werden und Raum für Neues entstehen kann. Auch für ein neues Miteinander: mit mir selbst, mit dem Partner, den Kindern… So kann ich anderen Menschen eine Hilfestellung geben, wie sie sich selbst auf den (Heilungs-)Weg machen können und wandle gleichermaßen selbst auf ihm voraus. Und nein, das ist nicht immer schön und auch nicht immer einfach, aber immer der Mühe wert!
Wenn wir die ersten Früchte der inneren Heilarbeit gekostet haben, gibt das einen großen Motivationsschub dranzubleiben und sich immer mehr und mehr Lebensqualität zurückzuholen. Dabei wird auch klar, dass der Weg das Ziel ist und wir uns über jede geschaffte Etappe freuen können und dürfen. Egal wie weit wir auf unserem Lebensweg damit kommen.
Denn es wird auch klar, dass dieser Prozess vermutlich niemals fertig werden wird, aber das ist auch nicht nötig. Vielleicht ist es genau das, was das Menschsein ausmacht: Das wir nicht fertig sind und es nie sein werden. Das steht ja nicht im Gegenspruch dazu, dass wir es nicht trotzdem versuchen sollten. Denn andersherum gefragt, wofür wären wir hier, wenn alles fertig wäre? Und würde es dann auf dieser Welt nicht furchtbar langweilig werden?
Schwarz oder Weiß? Die bunte Mischung macht es
Doch zurück zu der Frage, was gebe ich an meine Kinder weiter? Sie haben sicherlich Dinge von mir übernommen, die für ihr Leben hinderlich sind und dürfen das im Laufe der Zeit aussortieren und an mich zurückgeben. Aber das Leben ist nicht nur Schwarz und Weiß und man gibt immer eine bunte Mischung mit auf den Weg.
Das entschuldigt nicht die Fehler, die ich gemacht habe, die Verletzungen, die ich zugefügt haben mag. Aber ebenso im Blick zu haben, dass wir unseren Kindern auch Hilfreiches, Stärkendes mit auf den Weg geben, macht mehr Mut, als das Gefühl zu haben, es ist eh schon alles verloren, weil wir alle innerlich so kaputt sind.
Wenn jede und jeder für sich Verantwortung übernimmt, aus seinen Fehlern lernt und den Mut aufbringt, innere Verletzungen in die Heilung zu bringen und sich den eigenen Schatten oder übernommenen Themen zu stellen, dann können wir alle daran mitwirken, dass die Welt Stück für Stück ein schönerer, gesünderer Ort wird. Das gilt für uns selbst und auch für unsere eigenen Kinder, wenn sie irgendwann erwachsen geworden sind.
Werde nicht zum Opfer deiner Vergangenheit
Im Laufe des Prozesses des Erwachsenwerdens darf jeder Mensch kritisch schauen, was aus der Vergangenheit am Weiterkommen hindert und es über Bord werden. Nicht zum Opfer der eigenen Vergangenheit werden, sondern Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich frei machen von alten Ladungen und ungeheilten Emotionen ist der Auftrag für jeden Menschen, wenn er wirklich reif und erwachsen werden will.
Dazu gehört es auch, sich selbst und anderen zu vergeben. Und vergeben heißt nicht vergessen, sondern bedeutet die Verantwortung wieder dorthin zurückzugeben, wo sie hingehört. Wenn es meine Fehler waren, gehört die Verantwortung zu mir, wenn es die Fehler anderer waren, gehört sie zurück an diese Menschen.
Gemeinsam wachsen und reifen
Wenngleich wir eine Verantwortung für das Wohl unserer Kinder haben, so können und dürfen wir sie nicht vor allem bewahren. Sie müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, an denen sie reifen und wachsen können und manchmal sind tatsächlich auch wir Eltern diejenigen, die ihnen diese Steine in den Weg legen, aus denen sie dann etwas Eigenes bauen dürfen.
Dass wir als Eltern unsere eigene Reifezeit haben und täglich mit unseren Kindern gemeinsam wachsen dürfen, dabei Fehler machen, unser Gegenüber dabei gar verletzen oder enttäuschen und darum trotzdem keine schlechten Menschen sind, sondern einfach nur das: Menschen. Mit allen Ecken und Kanten. Und nein, das gibt uns nicht das Recht, uns wie ein Arschloch zu benehmen. Sondern es gibt uns die Pflicht, dass wir in unsere Verantwortung gehen, wenn wir wie ein Arschloch gehandelt haben und dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt.
Und so möchte ich nicht nur meinen eigenen Kindern, sondern allen Menschen inklusive mir selbst Mut zurufen und sagen: Mensch, reife und werde erwachsen, denn dann kannst du deine Flügel ausbreiten und fliegen.
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