Symptome und Ursachen werden gerne miteinander verwechselt. Daher möchte ich mit diesem Artikel den Unterschied der beiden deutlich machen.
Denn nur Symptome zu behandeln, ist so, als würde man in einem brennenden Haus die Feuermelder rausdrehen, weil sie unangenehm laut schrillen, um sich dann wieder ins Bett zu legen, während irgendwo im Haus weiterhin ein Brand wütet.
Dieser zugegeben recht krasse Vergleich soll deutlich machen, wie wichtig es ist, sich nicht nur mit Symptomen zu beschäftigen und zu versuchen sie loszuwerden, sondern zu verstehen, warum sie da sind, um die eigentliche Ursache zu behandeln. Wenn das Feuer (Ursache) gelöscht ist, hört auch der Feuermelder (Symptom) auf Alarm zu schlagen. So einfach ist das Prinzip, auch wenn es in der Umsetzung oftmals dann doch nicht so einfach ist.
Trotzdem lade ich dich hier ein, deinen Blickwinkel weg vom Symptom, hin zur Ursache zu richten. Denn das Prinzip gilt nicht nur für Krankheiten und körperliche Symptome, sondern genauso für Probleme, Beziehungsdramen usw.
Lass uns also schauen, wie dieser Unterschied genau aussieht.
Was ist ein Symptom, was eine Ursache?
Einfach gesagt, ist das Symptom der Hinweisgeber, während die Ursache das ist, was eigentlich den normalen Ablauf in einem System stört. Gerne wird das Symptom aber mit der Ursache verwechselt, weil es auffälliger ist, vielleicht auch störender, schmerzhafter und in irgendeiner Form unangenehm.
Mit System meine ich hier jedes System, ob das ein Körper ist, ein Familiensystem, ein Beziehungssystem oder sonstiges System, ist dabei unerheblich. Das Prinzip ist überall das gleiche.
Der Prozess ist folgender: eine Ursache bringt die Harmonie, den Eigenklang, den natürlichen Fluss, die gesunden Strukturen und Prozesse etc. eines Systems aus dem Gleichgewicht und es gerät in eine Dysregulation. Ursache kann hierbei weit verstanden werden. Entstehungsorte von Ursachen sind z.B. hier beschrieben. Gelingt die Regulation zurück ins Gleichgewicht nicht, entwickeln sich früher oder später ein oder mehrere Symptome, um auf den Missstand hinzuweisen. Werden auch die Symptome missachtet oder einfach nur unterdrückt und kann sich das System weiterhin nicht regulieren, kann es dauerhaften Schaden nehmen oder sogar auseinanderbrechen.
Beispiel Körpersystem: als Reaktion auf eine Ursache entwickelt der Körper eine Krankheit (Symptom). Wenn ich nun weder die Ursache beseitige, noch dem Körper den Raum und die ggf. benötigte Behandlung gebe, die er zur Gesundung braucht, kann er nicht zurück in ein Gleichgewicht finden und wird irgendwann kollabieren. Im Extremfall stellt der Körper seine Prozesse ein und stirbt.
Systeme sind allerdings sehr zäh und permanent auf Regulierung bedacht, daher können sie Schieflagen sehr lange aushalten, bevor sie ganz zerbrechen. Schön ist dieser dysregulierte Zustand in der Regel aber nicht. Doch warum verharren wir so lange in diesen dysregulierten Zuständen?
Symptome kommen zuerst mit leisen Schritten
Oft schauen wir erst dann hin, wenn es bereits ein oder mehrere Symptome gibt, die auf die Dysregulation hinweisen wollen. Sie sind oft auffälliger als die Ursache. Bevor ein offensichtliches Symptom entsteht, hat es in der Regel aber schon erste Anzeichen für eine störende Ursache gegeben. Oft genug werden sie jedoch nicht wahrgenommen, manchmal bewusst oder unbewusst ignoriert oder einfach übersehen.
Dieses leise Bauchgrummeln zum Beispiel, dass wir wegschieben, weil die Konsequenz, würden wir ihm folgen, zu unbequem, beängstigend oder schlichtweg ungewollt ist. Also lassen wir alle feinen Zeichen erst einmal vorüberziehen, bis das System irgendwann überlastet ist und mit deutlichen Symptomen auf seinen Missstand hinweisen muss. Spätestens die können wir dann nicht mehr ignorieren. Und spätestens wenn der Leidensdruck hoch genug geworden ist, sind wir in der Regel auch bereit, genauer hinzuschauen.
Manchmal sind dysregulierte Zustände auch schon seit langem unser normaler Alltag, dass wir uns so sehr an sie gewöhnt haben, dass uns gar nicht bewusst ist, dass es auch anders sein könnte. Meistens sind diese Zustände bereits in unserer Kindheit entstanden. Unser Körper hat sich damit arrangiert und sie gehören zu unserer vermeintlichen Normalausstattung, die wir für unseren Charakter halten. Wir sind halt so. Sind diese „Charaktereigenschaften“ allerdings Ausdruck einer Dysregulation werden wir früher oder später z.B. über Beziehungsdramen und Konflikte im Familienalltag (=Symptome) auch hier mit der Nase auf die Ursachen gestupst.
Reine Symptombehandlung bringt keine langfristigen Erfolge
Wenn wir jetzt aber nur die Symptome behandeln, wird eine dauerhafte Verbesserung in der Regel ausbleiben. Hier zeige ich zwei Beispiele dafür auf:
Beispiel 1: Wird eine Blasenentzündung mit einem Antibiotikum behandelt, aber nicht das beispielsweise dahinterliegende Beziehungsthema geklärt, das überhaupt erst zu einer Entzündung geführt hat, wird die Entzündung zwar erst einmal verschwinden, um bei nächster Gelegenheit erneut aufzuflammen.
Beispiel 2: Wenn ein auffälliges Kind zur Therapie geschickt wird oder abdämpfende Medikamente erhält, weil es in der Schule stört oder in der Familie schwer händelbar ist, wird sich die Situation vielleicht vorübergehend verbessern. Doch früher oder später wird es zu neuen Schwierigkeiten (=Symptomen) kommen, wenn das dysregulierte Familiensystem (=Ursache) nicht als Ganzes behandelt wird oder die strukturellen Rahmenbedingungen (=Ursache) an der Schule weiterhin nicht auf wesentliche Bedürfnisse des Kindes eingehen. Ohne Ursachenbehandlung bleibt das Kind in einer Schieflage, neue Symptome sind unausweichlich.
Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Gunda Frey hat hier den wunderbaren Satz geprägt: „Kinder entwickeln Störungen, weil wir sie in ihrer Entwicklung stören.“ Ich ergänze dazu: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken 😉
Warum es doch sinnvoll ist, Symptome zu behandeln
Entgegen den Behauptungen im vorherigen Abschnitt kann es aber generell durchaus sinnvoll sein, auch Symptome zu behandeln. Zum einen natürlich immer dann, wenn eine Behandlung der Symptome das unmittelbare Überleben sicherstellt. Oder auch, wenn es nötig ist, den Leidensdruck erst einmal so weit zu senken, dass wieder Raum für Ursachenforschung vorhanden ist. Bestenfalls geht die Symptombehandlung Hand in Hand mit der Ursachenbehandlung.
Um auf die Metapher mit dem Rauchmelder zu Beginn zurückzukommen: Manchmal braucht der Rauchmelder vielleicht noch etwas Zuwendung, damit er Ruhe gibt. Wenn die Ursache beseitigt, sprich der Brand gelöscht ist, muss man vielleicht noch einmal auf den Knopf des Rauchmelders drücken, damit er seinen Alarm einstellt. Wenn keine Rauchschwaden vom Brand mehr übrig sind, wird er danach aber Ruhe geben und nicht direkt wieder losschrillen.
Es geht dann bei der Symptombehandlung aber nicht mehr darum, sie einfach nur wegzudrücken, sondern es wurde vorab das Signal gegeben, dass man sich um die Ursache gekümmert hat und die Symptome jetzt nicht mehr benötigt werden. Wenn die Ursache geklärt und aufgelöst ist, können die Symptome dann auch wirklich verschwinden.
Und wenn Symptome oder Probleme immer wiederkommen?
Manchmal müssen wir im Leben die frustrierende Erfahrung machen, dass Symptome oder Probleme sehr hartnäckig sind und ständig wiederkommen. Meine Haltung dazu: ein Symptom/Problem kommt so lange wieder, wie es gebraucht wird.
Folgende Überlegungen und Hinweise können in diesem Fall weiterhelfen:
Eine Krankheit/Problem als Selbstzweck
Wenn wir zur Krankheit, zur Diagnose oder zum Problem selbst geworden sind, sind sie ein Teil unserer Identität und erfüllen einen Selbstzweck. Du kannst sie nicht einfach abstreifen, denn damit würdest du deine Identität abstreifen. Dagegen wird sich dein System wehren. Denn du bist deine Migräne oder dein Problem. Hier kann man sich die Frage stellen, wer wäre ich ohne diese Krankheit oder ohne dieses Problem? Wie sähe mein Leben dann aus? Was würde ich dann alles tun? Damit lenkt man den Fokus weg von der Krankheit/dem Problem auf das, was stattdessen sein könnte. Und dann setzt man alle Schritte in diese Richtung. Anfangs vielleicht nur ganz kleine, aber kontinuierlich, um die alte Identität durch eine neue zu ersetzen.
Festhalten an Vorteilen
Es kann sinnvoll sein, sich ganz bewusst damit auseinanderzusetzen, welchen Vorteil mir eine bestehende Situation oder Krankheit bringt. Auch wenn du vielleicht spontan sagst „Gar keine“, lohnt sich der genaue Blick. Natürlich sind die vermeintlichen Vorteile oft unbewusst, aber gar nicht so selten sind sie dennoch da.
Ein Beispiel: Du hast eine chronische Krankheit und bist dadurch größtenteils berufsunfähig. Du beziehst eine Berufsunfähigkeitsrente. Wenn du jetzt aber plötzlich gesund und damit arbeitsfähig wärst, würde dieses Geld nicht mehr fließen und du müsstest dein Geld auf anderem Wege generieren. Warum also gesundwerden, wenn es so doch eigentlich ganz praktisch ist? Dass ich mir dieses Beispiel nicht an den Haaren herbeigezogen habe, zeigt auch das Vorgehen mancher Schmerztherapeuten, die eine Schmerztherapie bei Patienten ablehnen, solange sie sich aufgrund ihrer Erkrankung in einem laufenden Rentenantragsprozess befinden. Der heilsame Effekt einer Schmerztherapie ist deutlich herabgesetzt, weil (un)bewusst der Konflikt im Raum steht, dass Heilung die Aussicht auf einen positiven Rentenbescheid verringert.
Hier noch ein Beispiel aus meinem eigenen Leben. Ich erlebe seit Jahrzehnten regelmäßig Migräne-Anfälle. Und auch wenn Migräne in der Regel zu den vielschichtigen Themen gehört, so gibt es doch einen ganz klar zu benennenden Auslöser, der das Prinzip des Festhaltens an Vorteilen verdeutlichen soll. Die Migräne tritt immer im zeitlichen Zusammenhang mit der Periode auf. Nun könnte ich es mir leichtmachen und sagen, sind halt die Hormone. Ich bin in dieser Zyklus-Phase allerdings sehr ruhebedürftig. Und meine inneren Antreiber kommen damit nicht gut zurecht, wenn ich mir längere Auszeiten nehme. Die Migräne schützt mich in diesem Fall vor mir und meinen Ansprüchen an mich selbst und ebenso auch vor den Ansprüchen von anderen an mich. Sie zwingt mich in eine Auszeit. Ich muss mich dann vor niemandem rechtfertigen, jeder kann selbst erkennen, wie schlecht es mir geht und lässt mich in Ruhe im Bett liegen. In dem Maße, wie ich es schaffe, mir die Ruhepausen proaktiv selbst zu gestatten und mich abzugrenzen, hat das auch einen positiven Effekt auf die Stärke und das Ausmaß der Migräne.
Faule Kompromisse
Das steht in engem Zusammenhang mit dem Thema „Festhalten an Vorteilen“ und ist auch nicht ganz trennscharf zu ziehen. Hier ist der Fokus noch mehr auf unsere sozialen Kontexte mit Beziehungspartnern, Familie, Freunden, Kollegen etc. Irgendetwas in diesem sozialen Kontext wird aufrechterhalten, weil es uns immer noch einen vermeintlichen Vorteil bringt, auch wenn die Gesamtsituation vielleicht sogar schon furchtbar ist.
Beispiele hierfür sind: du bleibst in deinem Job, auch wenn er dich unglücklich macht, weil du die regelmäßige Entlohnung vorziehst. Du bleibst in deiner Beziehung, auch wenn ihr euch schon lange nichts mehr zu sagen habt, aber du möchtest nicht riskieren, aus eurem gemeinsamen Haus ausziehen zu müssen, wenn du dich trennst. Faule Kompromisse machen auf Dauer immer unglücklich und in der Regel irgendwann auch krank.
Vielschichtige Ursachen
Manche Symptome sind sehr hartnäckig. Dahinter können vielschichtige Ursachen stehen. Auch wenn man glaubt, das Thema gelöst zu haben, taucht das gleiche Symptom oder vielleicht auch ein neues auf. Da hilft es nur, die Ursachen wie bei einer Zwiebel Schicht um Schicht abzutragen und gründlich aufzuräumen. Ein Prozess der Jahre dauern kann, bis alle wichtigen Erkenntnisse gewonnen sind und das Leben aufgeräumt ist. Die Zauberformel lautet: Hartnäckig bleiben und nicht vorschnell aufgeben. Und nicht vergessen: alle Zwischenschritte und kleinen Erfolge feiern! Der Weg ist das Ziel.
Radikale Akzeptanz
Annahme, Vertrauen, Demut und Dankbarkeit. Wir können immer nur einen sehr begrenzten Teil des großen Ganzen sehen, wahrnehmen und verstehen. Das Leben bleibt manchmal schlichtweg rätselhaft. Es lässt sich, genauso wie das Unbewusste, nicht zur Gänze in die Karten schauen. Letztlich ist das Leben eine große Erfahrung und wir können nicht im Vorfeld wissen, welche der Erfahrungen wichtig für uns und unseren Weg sind und warum.
Hier kann es helfen, eine innere Haltung zu entwickeln, die darauf vertraut, dass alles zu unserem Besten geschieht und genauso sein soll, wie es ist, weil es sonst schlichtweg ja nicht so wäre. Also anzunehmen was gerade ist. Was nicht ausschließt, dass sich Dinge auch wieder verändern werden, es geht also nicht um passives Erdulden.
Ebenso kann man sich in Demut üben und das eigene Nichtwissen und Nichterkennen als gegeben hinnehmen. Und eine weitere Zutat der Radikalen Akzeptanz ist Dankbarkeit. Dankbar zu sein mit all den Geschenken, die uns das Leben auf die ein oder andere Art und Weise zukommen lässt, auch wenn wir sie vielleicht erst im Nachhinein als Geschenk erkennen können.
In dieser inneren Haltung kann eine ganz tiefe Entspannung entstehen, die den inneren und äußeren Kampf zur Ruhe bringt und damit den Raum für ganz neue Erkenntnisse und Lösungen öffnen kann.
Defizit-Fokussierung
Wenn die gesamte Aufmerksamkeit nur noch dorthin fließt, was irgendwie kaputt oder blockiert sein könnte, vergessen wir irgendwann das, was funktioniert und uns ebenso weiterbringen könnte. Immer nur an Blockaden und Ursachen herumzudoktern, hilft irgendwann nicht weiter. So wichtig eine saubere Analyse von Ursachen sein kann, manchmal hilft es einfach viel besser, unseren Arsch in Bewegung zu setzen. „Aber ich muss doch erst noch dies aufarbeiten, jenes klären oder dort was in Ordnung bringen…“ Nee, du darfst einfach mal einen Schritt nach dem anderen machen und dich vorwärtsbewegen. Schau doch zur Abwechslung, welches Potential du auch so schon hast und nutze es. Denn auch über ein vorwärtsgewandtes Tun können Dinge wieder ins Fließen gebracht werden, ganz ohne Ursachenforschung.
Den eigenen Blick schulen
Ich hoffe, ich konnte den Unterschied zwischen Ursache und Symptom deutlich machen und aufzeigen, warum die Klärung und Behandlung von Ursachen zielführender und sinnvoller ist, als lediglich Symptome auszuschalten.
In meinem Alltag ist es mir schon zur Gewohnheit geworden, bei Problemen genauer hinzuschauen, was denn nun wirklich die Ursache und was das Symptom ist. Mit dem Wissen, dass eine reine Symptombehandlung in der Regel keine langfristigen Lösungen bringt, motiviert mich das dazu, um die Ecke zu denken, mich von scheinbaren Offensichtlichkeiten nicht abhalten zu lassen, sondern nach dem Unscheinbaren dahinter Ausschau zu halten und wirklich bei den Ursachen anzusetzen. Ich lade dich herzlich dazu ein, es ebenfalls auszuprobieren.
Teile deine Erfahrungen gerne in den Kommentaren.